Gastbeitrag von Frank Schäffler bei FOCUS online.
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Deutschland steht vor wichtigen Entscheidungen – wirtschaftlich, demografisch und politisch. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Seit 2018 stagniert das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Innerhalb von sieben Jahren sind die Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes (ohne Baugewerbe) um elf Prozent und die Industrieproduktion um 13 Prozent eingebrochen. Auch die Arbeitsproduktivität nahm um neun Prozent ab, während sie in den USA im selben Zeitraum um über zwölf Prozent gesteigert werden konnte. Laut OECD können Länder wie Spanien und die USA 2024 und 2025 mit jährlichen Wachstumsraten von über zwei Prozent rechnen. Wir hingegen müssen uns bestenfalls mit einem Nullwachstum im vergangenen Jahr zufriedenstellen und wachsen 2025 laut Bundesbank gerade einmal um 0,2 Prozent – deutlich weniger als für Frankreich und sogar Italien prognostiziert wird. Wir sind abgehängt – und zwar auf breiter Front.
Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Seit Jahren fließt mehr Kapital aus Deutschland ab, als in das Land hineinströmt. Allein 2022 betrugen die Nettoabflüsse von Direktinvestitionen 94 Milliarden Euro. Unsere Energiepreise für Haushalte sind die höchsten in Europa, Unternehmen zahlen mehr als doppelt so viel für Strom wie in Frankreich oder den USA. Das deutsche Bildungssystem befindet sich im freien Fall: Bei PISA 2022 landeten wir nur noch im Mittelfeld und der Anteil der Schüler, die ein grundlegendes Kompetenzniveau nicht erreichen, stieg um über elf Prozent. Gleichzeitig berichten über 36 Prozent der von der OECD befragten deutschen Unternehmen in den letzten Jahren über gravierende Personalengpässe. Auch hier belegen wir die Schlussposition.
Hinzu kommt eine Bürokratie, die uns laut ifo-Institut jährlich fast 150 Milliarden Euro kostet, während wir gleichzeitig bei internationalen Indizes zur Messung der Wettbewerbsfähigkeit seit Jahren immer weiter abrutschen. Indem wir Gewinne von Kapitalgesellschaften mit einer Quote von fast 30 Prozent besteuern und bei der Abgabenbelastung von Single-Haushalten regelmäßig nur von Belgien überholt werden, finanzieren wir eine Staatsausgabenquote relativ zum BIP von rund 48 Prozent. Die Gier der Politik nimmt den Bürgern und Unternehmen buchstäblich die Luft zum Atmen.
Bürokratiekahlschlag
Deutschland braucht keine kosmetischen Korrekturen, sondern einen Kahlschlag. Fangen wir bei der Bürokratie an: Sie erstickt Unternehmen, Kommunen und Bürger gleichermaßen. Gegen die Klimaberichtspflichten durch die Bundes- sowie die EU-Gesetzgebung muss endlich entschlossen vorgegangen werden. Irrsinnige Regulierungen, die die Bürokratie erst notwendig machen, müssen gestrichen, Gesetze wie das Heizungsgesetz oder das Energieeffizienzgesetz abgeschafft werden. Wir Liberalen haben hier, trotz Verbesserungen im Detail, Fehler gemacht.
Alle Berichtspflichten gehören auf den Prüfstand. Die Sanktionierung von Unternehmen wegen der Verletzung von Berichtspflichten sollte bis zum Greifen echter Reformen aufgehoben werden. Das Arbeitsrecht muss liberalisiert werden, der Mindestlohn gehört abgeschafft. In einem Arbeitsmarkt, in dem jede qualifizierte und fleißige Kraft dringend gebraucht wird, kann und muss sich die Entlohnung nach der Produktivität richten.
Umdenken in der Bildung
Dysfunktionale Bildungssysteme auf Landesebene verhindern jeden Fortschritt. Mehr Geld pro Schüler ist wünschenswert, aber nicht das Allheilmittel. Länder wie Kanada und Estland zeigen das. Vielmehr sind mehr Digitalisierung, eine ökonomische Grundausbildung sowie ein klarer Fokus auf naturwissenschaftlich-technische Fächer dringend notwendig. Ideologischer Gleichmacherei muss Einhalt geboten, leistungsstarke und auch schwache Schüler müssen gezielt gefördert werden.
Auch nachgelagerte Studiengebühren sind notwendig, um die Universitäten und Studienfächer auskömmlich durch die Nutzer zu finanzieren sowie die nötigen Anreize für eine Studienwahl zu setzen, die zur Arbeitskräftenachfrage passt. Deutschland sollte sich bei der Schul- und Hochschulbildung an der Weltelite orientieren, statt weiter im Mittelmaß zu versinken.
Realitätsnahe Energiepolitik
In der Energiepolitik stehen wir vor einem Scherbenhaufen. Zur kurzfristigen Entlastung der angespannten Marktsituation müssen wir abgeschaltete Kohle- und Kernkraftwerke, soweit möglich, reaktivieren. Die Verpressung von CO2 unter der Erde (CCS) muss in Deutschland endlich ermöglicht werden. Zudem müssen wir rasch mit der Planung und dem Bau neuer Gas- und Kernkraftwerke beginnen. Dies sollte bestenfalls im Süden geschehen, um unnötige Netzausbaukosten einzusparen. Die Förderung von deutschem Schiefergas muss ermöglicht werden und die Förderung der Grundlagenforschung im Energie- und Speicherbereich muss ideologiefrei erfolgen.
Nationale Alleingänge in der Klimapolitik sind wirkungslos und schädlich. Ein weltweiter Klimaclub, der die Reduktion des Verbrauchs fossiler Energieträger global koordiniert, bestenfalls mithilfe eines Preissystems, ist der einzige Weg, tatsächliche Fortschritte zu erzielen. Es ist Zeit, die grüne Ideologie über Bord zu werfen und auf Technologien zu setzen, die Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit garantieren. Folgt der Wissenschaft!
Bundeshaushalt: ¡Afuera!
Allein auf Bundesebene verschlingt der Sozialstaat laut dem Institut für Weltwirtschaft (IfW) jährlich 212 Mrd. Euro. Hinzu kommen 127 Mrd. für Finanzhilfen und Subventionen sowie 53 Mrd. für Pensionen, Beihilfen und Zinsen. Das macht zwei Drittel des Bundeshaushaltes aus.
Wir brauchen hier einen Rasenmäher, oder besser noch, eine Kettensäge. Alle Subventionen und Steuererleichterungen müssen innerhalb der nächsten fünf Jahre auf null sinken. Auch die Zuschüsse für sogenannte NGOs und Interessengruppen im In- und Ausland müssen auslaufen. Ausnahmen sind möglich, aber nur innerhalb sehr enger Grenzen – beispielsweise für soziale Träger oder den Katastrophenschutz. Möglichst viele Ministerien und nachgelagerte Behörden müssen gestrichen oder zusammengelegt werden.
Der sogenannte Klima- und Transformationsfonds, in den allein 2024 Einnahmen aus dem CO2-Emissionshandel in Höhe von 18,5 Mrd. Euro flossen, und seine sinnlosen Öko- und Klimaprogramme müssen abgeschafft werden. Grüne NGOs und Stiftungen müssen sich endlich private Spender suchen.
Verschlankung des Sozialstaates
Bürgergeld und Sozialhilfe sollten in ein einfaches Transfersystem überführt werden, gebündelt bei nur einer Behörde. Haushalte mit einem Einkommen unter einem Schwellenwert erhalten Transfers, Haushalte darüber zahlen Steuern und Abgaben. Mithilfe von Freibeträgen und zusätzlichen Auszahlungen für Kinder und zu betreuende Angehörige ist die Menschenwürde stets gewahrt.
Man kann so zudem sicherstellen, dass derjenige, der arbeitet, immer mehr hat als derjenige, der nicht arbeiten will, obwohl der kann. Wer aufgrund von Krankheit oder Behinderung nicht arbeiten kann, muss Zusatzzahlungen erhalten können. Durch die Verschlankung des Systems würden die Kosten des aufgeblähten Sozialstaates endlich sinken.
Reformen bei den Sozialversicherungen
Durch Steuer- und andere Anreize sollten ältere Arbeitnehmer möglichst lange im Berufsleben gehalten und das Arbeitskräftepotenzial von Frauen voll ausgeschöpft werden. Die Babyboomer und jetzigen Rentner haben zu wenige Kinder bekommen und sich jahrzehntelang geweigert, das Rentensystem nach schwedischem Vorbild zu reformieren. Deshalb muss das durchschnittliche Renteneintrittsalter steigen und die Rentenhöhe an die durchschnittliche Lebenserwartung angepasst werden.
Ebenso müssen wir uns hinsichtlich der Kranken- und Pflegeversicherung endlich ehrlich machen. Aufgrund der Demographie und versäumter Reformen muss die gesetzliche Krankenversicherung für die kleinen Gesundheitsrisikien auf größere Eigenverantwortung setzen, damit die teuren Behandlungen bei schweren Erkrankungen für jeden bezahlbar bleiben können. Auch die Eigenbeiträge für Pflege müssen notgedrungen steigen. Zusatzleistungen müssen privat versichert werden.
Disruption und Zuversicht
Die Staatsquote muss mithilfe der aufgezeigten Reformen rasch unter 40 Prozent sinken. Einsparungen von über 150 Milliarden Euro pro Jahr sind möglich, wenn Subventionen gestrichen, Sozialausgaben gestrafft und ineffiziente Ministerien zusammengelegt werden. Die Steuerbelastung für Unternehmen und Haushalte kann dadurch endlich sinken. Gleichzeitig müssen wir eine Kapitaldeckung für Renten, Gesundheit und Pflege aufbauen. Milliardenbeträge aus den eingesparten Sozialausgaben und Subventionen könnten in einen unabhängigen Fonds fließen, der international diversifiziert investiert. Der große Ökonom Joseph A. Schumpeter betonte das Wechselspiel von Innovation, Wettbewerb und natürlicher Verdrängung alter Strukturen durch neue Innovation. Solch einer Schumpeterschen Zerstörung müssen wir in Deutschland endlich wieder den Weg bereiten, um Neues schöpfen zu können. Hierfür bleibt uns angesichts der demographischen und internationalen Herausforderungen kaum noch Zeit. Weniger Staat, mehr Eigenverantwortung, radikale Reformen – jetzt oder nie!