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Unser Land erstickt an Bürokratie. In den letzten zehn Jahren ist laut Nationalem Normenkontrollrat der jährliche Erfüllungsaufwand, also die direkten Bürokratiekosten für Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und öffentliche Verwaltungen, von rund sechs Milliarden Euro auf über 27 Milliarden Euro angestiegen. Das ifo-Institut hat kürzlich errechnet, dass Bürokratie, unter Berücksichtigung aller volkswirtschaftlichen Kosten, unsere Wirtschaftsleistung um 146 Milliarden Euro schmälert – jedes Jahr. Das entspricht 30 Prozent des Bundeshaushalts 2024.
Laut einer aktuellen Umfrage des ifo-Instituts unter Wirtschaftsexpertinnen und -experten ist die überbordende Bürokratie der mit Abstand bedeutendste Standortnachteil für Deutschland. Das zeigt sich auch deutlich im Vergleich mit anderen Nationen. Im IMD World Competitiveness Ranking 2024, einem renommierten Index zur Wettbewerbsfähigkeit, sind wir nicht nur innerhalb der letzten zehn Jahre vom sechsten auf den 24. Platz abgerutscht. Inzwischen liegen wir in der Unterkategorie „Bürokratie“ sogar auf Platz 46 von insgesamt 67 Ländern – hinter Staaten wie China, Botswana und Nigeria.
Neben den Ressourcen, die Bürokratie vor allem in Unternehmen bindet, seien es Kapital, Zeit oder Personal, birgt sie noch eine ganz andere Gefahr. Die originäre Bestimmung eines jeden Unternehmens in einer Sozialen Marktwirtschaft ist es, durch die Bereitstellung von Gütern oder Dienstleistungen im Wettbewerb Gewinnmaximierung anzustreben und dadurch der Gesellschaft am besten zu dienen. Dieses Ziel wird dank Überregulierung und Bürokratie mehr und mehr durch „Rent-Seeking“ ersetzt. Das bedeutet, dass Unternehmen viel lieber Regulierungen und Fördertöpfe in ihrem Interesse so mitgestalten und ausnutzen, dass sie am meisten davon profitieren. Bürokratieabbau hat deshalb nicht nur eine Kostenkomponente, sondern stellt eine systemische Gefahr für unsere Wirtschaftsordnung dar.
In der zerbrochenen Ampel-Regierung haben wir Freien Demokraten uns für eine Entbürokratisierung in möglichst vielen Politikbereichen eingesetzt. So attestiert der oben bereits erwähnte Normenkontrollrat in seinem Jahresbericht 2024 den beiden FDP-geführten Ministerien für Finanzen sowie für Justiz mit dem Wachstumschancengesetz, dem Bürokratieentlastungsgesetz IV sowie der Anhebung der definitorischen Schwellenwerte für kleine und mittlere Unternehmen den mit weitem Abstand größten Erfolg beim Bürokratieabbau innerhalb der Bundesregierung. Durch die Initiativen entlasten wir die Unternehmen und Bürger um mehr als drei Milliarden Euro pro Jahr. Der Normenkontrollrat resümiert deshalb zu Recht: „Erfolge sind möglich, wenn die Politik es will.“
Und genau daran hakt es. Weder unsere ehemaligen Koalitionspartner noch die Union wollen es – ganz im Gegenteil. Rund 70 Prozent der laufenden Bürokratiebelastungen der letzten Jahre für deutsche Unternehmen sind auf die Umsetzung von EU-Richtlinien zurückzuführen, für deren Einbringung auf EU-Ebene CDU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hauptverantwortlich war und ist.
Auf Bundesebene stellt das bei weitem größte Bürokratiemonster der letzten Jahre Robert Habecks Novelle des Gebäudeenergiegesetzes, kurz Heizungsgesetz, dar. Ironisch mutet es deshalb an, dass ausgerechnet der Klimaminister auf dem Unternehmertag 2024 im Hinblick auf das deutsche Lieferkettengesetz rät, „die Kettensäge anzuwerfen und das ganze Ding wegzubolzen.“ Die Aussage ist zwar korrekt, aber allein die ausschweifende Bürokratie seines Heizungsgesetzes belastet die deutschen Bürgerinnen und Bürger mit sage und schreibe 5,1 Milliarden Euro pro Jahr und damit um ein Vielfaches mehr als das Lieferkettengesetz.
Nein, wir brauchen einen wirklichen Befreiungsschlag. Und das nicht erst in einem Jahr, sondern jetzt. Am schnellsten kann man bei der Dokumentation und der Berichterstattung ansetzen, die Regulierungen mit sich bringen; der Kahlschlag bei der Regulierung an sich muss dann auf dem Fuße folgen.
Konkret sehen viele Regulierungen Dokumentations- und Berichtspflichten für Unternehmen vor. Mit ihnen soll nachgewiesen werden, dass die jeweiligen Handlungs- oder Unterlassungsgebote befolgt werden. Wenn diese Berichte zu spät oder gemäß der jeweiligen Regulierung in unzureichendem Umfang vorgelegt werden, drohen den betroffenen Unternehmen Sanktionen. Diese können nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz oder sogar nach dem Strafrecht geahndet werden.
Vor diesem Hintergrund schlage ich vor, ein „Gesetz zur Befreiung von Bürokratiesanktionen“ in den Bundestag einzubringen und noch vor der Bundestagswahl im Februar zu verabschieden. Das Gesetz setzt sämtliche Sanktionen für Unternehmen mit bis zu 500 Mitarbeitern, die aufgrund von Berichts- und Dokumentationspflichten drohen, mit sofortiger Wirkung außer Kraft. Wenn ein Unternehmen besagte Pflichten verletzt, darf es im konkreten Fall auf andere Weise nachweisen, dass es die gesetzlichen Vorgaben eingehalten hat.
Diese Regelung bedeutet nicht, dass die entsprechenden Pflichten aufgehoben werden. Vielmehr müssen Unternehmerinnen und Unternehmer keine drakonischen Maßnahmen mehr fürchten, wenn ein Bericht nicht rechtzeitig vorgelegt wird oder ein bestimmtes Zertifikat fehlt. Sie erhalten zudem die nötige Flexibilität, ihr rechtstreues Vorgehen zu belegen.
Darüber hinaus sieht das Gesetz vor, dass Gerichte etwaige Streitigkeiten über die Auslegung des Gesetzes an das Bundesamt für Justiz melden. Basierend auf diesen Meldungen kann dann jedes Jahr ein gesondertes Konkretisierungsgesetz verabschiedet werden, um klare Leitlinien für die Auslegung zu schaffen.
Ein solches Gesetz schlägt mehrere Fliegen mit einer Klappe: Es kann schnell umgesetzt werden, es führt zu konkreten Entlastungen für Handwerk und Mittelstand, und es stellt sicher, dass die Klärung von Detailfragen nicht allein den Gerichten überlassen bleibt, sondern vom Gesetzgeber übernommen wird. Bürokratieabbau ist keine Option, sondern eine Notwendigkeit. Mein Vorschlag kann nur ein erster Schritt sein, weitere müssen folgen. Wir brauchen weniger Regulierung und weniger Staat, bevor es für unseren Wirtschaftsstandort zu spät ist.
Dieser Gastkommentar erschien zuerst bei Focus online.