(Photo by Slejven Djurakovic on Unsplash)
Als vor 13 Jahren das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Deutschland in Kraft trat, war dies ein Paradigmenwechsel. Denn bis dahin war ein Diskriminierungsverbot weitestgehend auf staatliches Handeln beschränkt. Das ist historisch begründet. War doch der Kampf seit dem Mittelalter ein Kampf gegen die Willkür der Herrschenden. Adlige wurden vor dem Gesetz anders behandelt als Bürgerliche. Bürgerliche anders als Unfreie. Die Gleichheit vor dem Gesetz und deren Einklagbarkeit vor unabhängigen Gerichten waren Meilensteine unserer Rechtsordnung.
Wenn von der Herrschaft des Gesetzes die Rede ist, dann ist dabei eine Begrenzung staatlicher Macht gemeint. Friedrich August von Hayek brachte dies in seiner „Verfassung der Freiheit“ so auf den Punkt: „Es war früher der Stolz des freien Mannes, dass er, solange er sich innerhalb der Grenzen des bekannten Rechts hielt, um niemandes Erlaubnis zu bitten und niemandes Befehl zu gehorchen brauchte. Es ist zu bezweifeln, ob einer von uns das heute von sich behaupten kann.“
Das Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes folgt dem Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz. Niemand sollte aufgrund bestimmter Merkmale, wie Geschlecht, Herkunft oder sexueller Orientierung vor Gericht, in Ämtern oder bei Verwaltungsakten diskriminiert werden dürfen. Gegen Ungleichbehandlung, also staatlicher Willkür, wollten die Väter und Mütter des Grundgesetzes ein einklagbares, verfassungsrechtliches Recht schaffen. Sie gingen sogar so weit, dass sie das Diskriminierungsverbot des Artikels 3 in die Ewigkeitsklausel des Grundgesetzes aufnahmen. Es kann daher nicht aufgehoben oder verändert werden.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), beziehungsweise umgangssprachlich auch Antidiskriminierungsgesetz genannt, betrifft nicht das öffentliche Recht, sondern das Privatrecht. Es regelt also nicht das Verhältnis von Staat zu Bürgern, sondern greift in das Verhältnis von Privaten untereinander ein. Es sind also keine Abwehrrechte der Bürger gegenüber staatlicher Willkür, sondern „Befehle“ des Staates, beziehungsweise seiner Behörden, an seine Bürger. Diese müssen sich daran halten, sonst können sie verklagt werden und bekommen Probleme. Sich daran zu halten, ist jedoch nicht ganz einfach. Wer für sein Friseurgeschäft eine ältere Friseurin sucht, diskriminiert jetzt alle Jüngeren, alle Männer und Transsexuellen. Wer einen jungen, dynamischen Vertriebsmitarbeiter sucht, diskriminiert alle Älteren, alle Frauen und Transsexuellen. Das geht so nicht mehr. Stellenanzeigen müssen den staatlichen „Befehlen“ angepasst und Absagen diskriminierungsfrei im Sinne des Gesetzes formuliert werden. Zwar ändert sich für die Inhaber des Friseurgeschäftes nichts an der Situation, immer noch wird eine ältere Friseurin gesucht, aber das Handwerksunternehmen unterliegt jetzt immer einer rechtlichen Grauzone. Ist die Anzeige tatsächlich konform mit dem Antidiskriminierungsgesetz? Drohen Schadenersatzklagen wegen Formfehlern? Das kostet viel Geld: Eine Studie, die von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) beauftragt wurde, kam zu dem Ergebnis, dass die entstandenen Kosten für die deutschen Unternehmen bei 1,73 Mrd. € liegen. Mitarbeiterschulungen und andere bürokratische Maßnahmen inbegriffen.
Diese Entwicklung ist nicht vom Himmel gefallen. Ganz im Gegenteil, sie ist das Ergebnis einer langfristigen Entwicklung. Sie folgt einem gesellschaftlichen Trend, der den alten liberalen Begriff der Zivilgesellschaft in sein genaues Gegenteil verkehrt hat. Politisches Ziel dieser Begriffsumwertung war die von Wolfgang Abendroth in den 1950er Jahren geforderte „Transformation des liberalen Rechtsstaates in den Sozialstaat“. Die Institutionen wie Privateigentum, Vertragsfreiheit, Gewerbefreiheit, aber auch die Autonomie der Familie sowie die Religions- und Gewissensfreiheit vor der Herrschaft durch andere Menschen sollen nicht mehr geschützt werden, sondern durch eine sozialdemokratische Scheinmoderne ersetzt werden.
Das Antidiskriminierungsgesetz folgt dieser Scheinmoderne. Es ist ein Angriff auf den liberalen Rechtsstaat. Auf den ersten Blick sind die Merkmale ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Behinderung, Alter oder sexuelle Identität immer schützenswert. Wer möchte schon, dass jemand wegen seines Geschlechts oder seiner Herkunft diskriminiert wird? Doch so einfach ist es meist nicht. Heiratet ein Mann eine Frau, dann diskriminiert er alle anderen Frauen, die er nicht heiratet. Das gilt natürlich auch umgekehrt oder bei gleichgeschlechtlichen Paaren. Gehen wir abends zum Griechen essen, dann diskriminieren wir die Eigentümer aller anderen Restaurants. Seien es Spanier, Türken, Chinesen oder Deutsche.
Die Merkmale des Antidiskriminierungsgesetzes sind willkürlich gewählt. Warum nur die oben genannten sechs Kriterien? Warum nicht andere? Man könnte auch auf die Idee kommen, das Einkommen als Merkmal aufzunehmen. Warum wird jemand im Einkommensteuerrecht diskriminiert, nur weil er mehr Einkommen erzielt als ein anderer? Also warum muss dieser einen höheren Steuersatz an den Fiskus abführen, als jemand der weniger Einkommen bezieht. Und warum erhält ein Geringverdiener relativ zu seinen Einzahlungen eine höhere Rente, als jemand der sein Leben lang Höchstbeiträge einbezahlt hat? Ist die Mütterrente nicht diskriminierend für die vielen Männer im Lande? Und sind die Vätermonate nicht diskriminierend für diejenigen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht Väter werden können?
Das Antidiskriminierungsgesetz folgt einem Gesellschaftsbild, das zutiefst freiheitsfeindlich ist. Es will die Demokratisierung aller Lebensbereiche erreichen. Nicht mehr nur das Parlament und die Regierung sollen demokratisch gewählt werden, sondern die Regeln der Wirtschaft, der Familie, und aller Individuen unterliegen dem Primat der Politik und seinen Befehlen.
Für die Väter und Mütter des Grundgesetztes war das Diskriminierungsverbot ein Abwehrrecht der Minderheit gegenüber der Mehrheit. Das Antidiskriminierungsgesetz dreht aber dieses Abwehrrecht in ein Angriffsrecht um. Die Mehrheit definiert gegenüber der Minderheit, wie weit die Privatautonomie noch gilt. Sie schränkt das Minderheitenrecht so ein, wie es ihr beliebt. Es wird zur leeren Hülle.
Die Kritik am Antidiskriminierungsgesetz ist jedoch keine Absage an Werte und Moral. Es ist nach unseren gesellschaftlichen Normen nicht akzeptabel, wenn jemand nur wegen des „falschen“ Geschlechts einen Job nicht bekommt, oder jemand wegen seines Aussehens oder seines Glaubens im Restaurant nicht bedient wird. Zur Lösung dieses Problems setzt eine freiheitliche Gesellschaft aber auf Freiwilligkeit statt Zwang. Nicht nur weil der Zwang generell nicht die beste Wahl ist, sondern weil das Überschreiten von freiwilligen Regeln, den Druck auf diejenigen erhöht, die sich dem Vorwurf derer aussetzen müssen, die diese Regeln einhalten. Dieser soziale Druck ist nicht statisch wie ein staatlicher Befehl per Gesetz, sondern passt sich der gesellschaftlichen Entwicklung flexibel an. Ein Versuch-und-Irrtum-Prozess ist bei freiwilligen Regeln möglich. Daher sind freiwillige Regeln starren Gesetzen überlegen. Letztere können meist nur für alle gleichzeitig geändert werden. Voraussetzung dieser freiwilligen Regeln ist, dass sie nicht erzwungen oder willkürlich sind, sondern einer gesellschaftlichen Entwicklung und Tradition entspringen. Sie sind also kein konstruktivistischer Plan, sondern ein evolutorischer Prozess.
Hayek hat diesen Zusammenhang zwischen Freiheit des Individuums und der Moral stets betont: „Es ist eine Tatsache, die all die großen Vorkämpfer der Freiheit, …, nicht müde wurden zu betonen, daß Freiheit ohne tief eingewurzelte moralische Überzeugungen niemals Bestand gehabt hat und das Zwang nur dort auf ein Mindestmaß herabgesetzt werden kann, wo zu erwarten ist, daß die Individuen sich in der Regel freiwillig nach gewissen Grundsätzen richten.“ Wer die Scheinmoderne bekämpfen will, muss hier ansetzen.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Sonderveröffentlichung „Wohlstand für alle – 70 Jahre Grundgesetz“ der Ludwig-Erhard-Stiftung.