Sorge treibt in diesen Tagen die deutsche Automobilindustrie um über die wirtschaftliche Entwicklung auf der Welt. Ihr Präsident Matthias Wissmann hat sich jetzt in einem bemerkenswerten Interview in der FAZ „tief besorgt wegen der protektionistischen Tendenzen“ nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in Großbritannien gezeigt. Es ist gut, wenn die heimische Industrie und ihre Verbandsvertreter für Freihandel in der Welt eintreten. Nicht nur, weil sie davon profitieren, sondern auch, weil es guter Wirtschaftspolitik entspricht, wenn der Handel nicht nur im Inland möglichst ungehindert stattfinden kann, sondern auch grenzüberschreitend. Der Kunde soll entscheiden, ob er sich lieber einen Toyota, einen Mercedes, einen Chevrolet oder einen Fiat kaufen will. Wenn ein Land diese Entscheidung durch Einfuhrzölle beeinflusst, dann ist das nicht nur für den Kunden schlecht, der plötzlich mehr für dieses Auto bezahlen muss, sondern es nimmt auch der heimischen Industrie den fortwährenden Anpassungsdruck und macht sie träge und satt.
Schon heute ist es unverständlich, dass Autoimporte aus Amerika in der Europäischen Union mit einem zehnprozentigen Einfuhrzoll belegt werden. Begründet wird das damit, dass auch europäische Hersteller in den USA Einfuhrzölle bezahlen müssen (freilich einen niedrigeren!). Doch das ist eine falsche Sichtweise. Einfuhrzölle der EU schaden direkt den Bürgern in der EU. Sie schaden den Bürgern in den USA nur mittelbar, wenn sie bei dem dortigen Unternehmen arbeiten oder Aktien halten. Doch in der EU sind alle Bürger betroffen. Ihr Angebot am Markt ist unmittelbar verzerrt. Auf bestimmte Waren wird faktisch eine Sondersteuer erhoben, um sie unattraktiver gegenüber anderen zu machen. Das beschränkt und beeinflusst das Angebot für alle Bürger.
Letztlich kassiert die EU von den Bürgern ohne sachlichen Grund ab. Das ist nicht unerheblich. Sämtliche Zolleinnahmen gehen als sogenannte „Eigenmittel“ in den Haushalt der EU. Allein aus dem Warenverkehr mit den USA kassiert die EU so 3 Milliarden Euro von amerikanischen Unternehmen bzw. den europäischen Verbrauchern.
Was Wissmann der Trump-Administration vorwirft, formuliert er in der exakt selben protektionistischen Stimmlage in Richtung London. Einen unbeschränkten Zugang von Unternehmen aus Großbritannien in die Europäische Union will er den Briten nicht zugestehen. Sein Bekenntnis zum Freihandel ist daher so glaubwürdig wie das von Donald Trump. So wie Donald Trump seine neu gewonnene Macht gegenüber kleineren Staaten wie Mexiko, Japan und Deutschland ausspielt, so will Wissmann die Macht der EU gegenüber dem kleineren Großbritannien durchsetzen. „Die Autohersteller hätten „auch eine europapolitische und staatspolitische Verantwortung“ lässt er sich zitieren. Und noch deutlicher: „Ein freier Handel mit Großbritannien ist für uns sehr wichtig. Aber noch wichtiger ist für uns Europa als Ganzes, und dass der EU-Binnenmarkt nicht beschädigt wird.“ In Trump-Sprech würde das heißen: America First. Mehr „Verkumpelung“ mit der Politik geht nicht.
Die Automobilindustrie macht einen fundamentalen Fehler. Sie macht sich zum Büttel der Politik. Sie verteidigt ein System, das sie bei anderen kritisiert. Selbst wenn man sich in die Niederungen der Exportbilanz deutscher Unternehmen begibt, kann ein Lobbyverband eigentlich kein Interesse daran haben, für Abschottung zu plädieren. Der Anteil deutschen Exporte in Schwellenländer hat sich in den letzten 10 Jahren fast verdoppelt und auch in die übrigen Industrieländer außerhalb der EU signifikant erhöht. Und wenn nur der gemeinsame Währungsraum betrachtet wird, dann findet seit der Euro-Einführung 1999 ein ständiger Niedergang der Exportrate in die übrigen 17 Euro-Staaten statt. Aus Eigeninteresse müsste die Automobilindustrie eigentlich für den Abbau von Handelshemmnissen der EU sein.
Nur wer glaubhaft die Idee der Marktwirtschaft vorlebt, kann andere davon überzeugen. Vielleicht sollte sich der ehemalige Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann am ersten Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard ein Beispiel nehmen. Erhard wäre am vergangenen Samstag 120 Jahre alt geworden. An die Adresse des ersten BDI-Präsidenten und heftigen Gegenspieler Erhards, Fritz Berg, Anfang der 1950er Jahre sagte der Wirtschaftsminister: „Es gibt keinen freien Markt ohne freie Preise und freien Wettbewerb. Der Marktpreis ist der einzig faire. Er lässt sich nicht errechnen, weder von Vertretern des Staates noch der Industrie.“
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog des Berliner Prometheus-Instituts.