(Foto: Victor Kallenbach from Unsplash (CC 0)
Ist der Bundestag mit 709 Abgeordneten zu groß? Eigentlich sieht der Deutsche Bundestag eine Sitzzahl von 598 vor. 299 Wahlkreismandate werden über eine relative Mehrheitswahl im jeweiligen Wahlkreis vergeben und 299 Mandate über eine bundesweite Verhältniswahl nach Landeslisten der Parteien verteilt. Jeder Wähler hat zwei Stimmen. Die erste Stimme ist für den Wahlkreis, die zweite Stimme ist die Stimme für eine Partei und deren Repräsentanz im Parlament. Erreicht eine Partei mehr Wahlkreismandate als ihr über die zweite Stimme relativ im Parlament an Sitzen zusteht, gibt es Überhangmandate. Die Zusammensetzung des Bundestages entspricht dadurch nicht mehr dem Zweitstimmenergebnis. Seitdem das Bundesverfassungsgericht die hohe Anzahl der Überhangmandaten 2012 als verfassungswidrig erklärt hat, hat der Gesetzgeber einen Vollausgleich durch so genannte Ausgleichsmandate beschlossen.
Dabei muss die Anzahl der Mandate so weit erhöht werden, bis der Vorteil der Überhangmandate bei der Zusammensetzung des Parlaments verschwindet. Dies führte bereits 2013 dazu, dass der Bundestag 631 Abgeordnete hatte. 5 Überhangmandate führten dabei zu 28 Ausgleichsmandaten. Vier Jahre später waren es bereits 709. 49 Überhangmandate mussten mit 62 Mandaten ausgeglichen werden. Dies Entwicklung setzt sich in der aktuellen Sonntagsfrage fort.
Wer die aktuelle Umfrage von INSA vom 23.10.2018 betrachtet und dies als Maßstab für die Zusammensetzung des nächsten Bundestages heranzieht, ist bereits bei 831 Mitgliedern. Und sollten CDU/CSU bei der nächsten Bundestagswahl, nicht wie in der INSA-Umfrage prognostiziert, 26 sondern bei gleichen Bedingungen nur noch 20 Prozent erreichen, dann würde das Parlament auf 1002 Mitglieder anwachsen. Die Entwicklung ist also auch ein Spiegelbild der zurückgehenden Wahlerfolge von Union und SPD. Sie würden zwar noch viele Direktmandate gewinnen, stürzen aber bei der Zweitstimme ab.
Ein Parlament, das möglicherweise doppelt so groß ist, wie es der Gesetzgeber eigentlich vorgesehen hat, stößt zwangsläufig an seine Grenzen. Nicht nur was die Arbeitsfähigkeit und die Ausgaben betrifft. Auch ist die Kontrollfunktion des Parlaments gegenüber der Regierung dann nur noch schwer möglich. Aber entscheidend ist die öffentliche Akzeptanz des Deutschen Bundestages. Ein Parlament mit 800 oder 900 Abgeordneten würde dem Vorwurf der Reformunfähigkeit des politischen Systems Vorschub leisten. Es hat dem Deutschen Bundestag bislang nicht gutgetan, dass in der letzten Legislaturperiode keine Reform gelungen ist. Und auch in dieser Legislaturperiode tut sich derzeit wenig. Das ist bedauerlich, denn diese Untätigkeit trägt zur Politikverdrossenheit in der Gesellschaft bei.
Sicherlich ist das Wahlrecht ein vermintes Gelände. Es hat historisch schon oft zu Verwerfungen im Regierungssystem geführt. Das wohl bekannteste Beispiel ist der Regierungswechsel der FDP in NRW im Jahr 1956. Als Bundeskanzler Konrad Adenauer ein Grabenwahlrecht einführen wollte, wechselte die FDP in Nordrhein-Westfalen von einer CDU-geführten zu einer SPD-geführten Regierung und vereitelte den Plan dadurch mittelbar in der großen Koalition in Bonn. Damals wollte Adenauer, dass die Direktmandate nicht auf die Verhältniswahl (Zweitstimmenergebnis) angerechnet werden. Es hätte die FDP bei gleichem Ergebnis halbiert und der Union die absolute Mehrheit beschert. Mit dem Regierungswechsel in Düsseldorf war das Ansinnen Adenauers tot, aber gleichzeitig auch der Beginn einer sozialliberalen Ära auf Bundesebene eingeleitet.
Zahlreiche Veränderungen sind im Wahlrecht denkbar. Doch wer nicht das gleiche Schicksal der 1950er Jahren erleben will, sollte behutsam an das Wahlrecht herangehen. Denn das Wahlsystem ist nicht beliebig veränderbar. Es folgt einer Tradition und höchstrichterlicher Rechtsprechung. Daher wäre der Gesetzgeber klug beraten, am bisherigen System von Erst- und Zweitstimme festzuhalten. Folgt man diesem Gedanken, dann böte sich eine Reduktion der gesetzlichen Mitgliederzahl von 598 Abgeordneten an. So könnte das Parlament in zwei Schritten von 498 auf 398 reduziert werden. Dies würde bedeuten, dass die Wahlkreise von 299 auf 249 und dann 199 reduziert werden. Gleichzeitig würden auch die Listenmandate entsprechend reduziert. Die Reduzierung der Wahlkreise um ein Drittel würde dazu führen, dass ein Wahlkreis im Durchschnitt nicht mehr einen Bevölkerungsanteil von 275.000 Einwohnern repräsentieren, sondern rund 410.000. Dies wäre innerhalb der Bundeswahlgesetzes zulässig, da so immer noch die Ländergrenzen eingehalten werden könnten und die Wahlkreise ein zusammenhängendes Gebiet umfassen würden. Sicherlich wären die Wahlkreise dann in vielen Teilen Deutschlands landkreisübergreifend. Doch das ist heute schon in vielen Regionen Süd- und Ostdeutschlands so. Größere Wahlkreise wären der Preis für eine Reform. Er wäre aber tragbar, weil es dafür eine Mehrheit im Parlament geben könnte. Eine Diskussion darüber muss jetzt endlich beginnen.
Dieser Artikel erschien zuerst bei Prometheus – Das Freiheitsinstitut