Frank Schäffler

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Laudatio: Dan McCrum bekommt Ludwig-Erhard-Preis

Dear Mr. McCrum,

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Wirecard-Skandal ist beispiellos in der deutschen Wirtschaftsgeschichte und in seiner Fülle fast unbegreiflich.Ein Start-up bei München wird in kurzer Zeit zum Dax-Konzern mit einem Börsenwert von über 20 Milliarden Euro und kollabiert dann vollständig in sich selbst.

Lassen Sie mich deshalb erst einige Worte zum Hintergrund verlieren, bevor ich näher auf die Leistung von Mr. McCrum eingehe. Ende der Neunziger Jahre gegründet, war der Wirecard-Konzern 2018 an der Börse mehr wert als die Aktien der Lufthansa. Für Wirecard musste bezeichnenderweise die altehrwürdige Commerzbank den Dax verlassen. FinTech schlägt Großbank schwärmte damals die Wirtschaftspresse. Aschheim in Bayern, der Sitz der Wirecard AG, galt als die deutsche Antwort auf das Silicon Valley. Heute, etwas über ein Jahr nach der Insolvenz der Wirecard, wissen wir, dass die Erfolgsstory vor allem eine Lügengeschichte war. Tausende Anleger wurden getäuscht. Die Altersvorsorge von vielen Bürgern wurde vernichtet. Neben der enormen kriminellen Energie des Managements und den Verfehlungen der Wirtschaftsprüfer ist dafür auch ein eklatantes Behördenversagen verantwortlich. Eine Mischung aus industriepolitischer Abstiegsangst, stümperhafter Aufsicht durch die BaFin und einem Amigo-System ehemaliger und aktiver Politiker, die sich ihre Kontakte vergolden ließen, hat zu dem kollektiven Staatsversagen in der Causa Wirecard geführt.

Besonders schwer wiegt in meinen Augen der Verdacht der Selbstbereicherung seitens der Politik und der zuständigen Behörden. Die Kanzlerin selbst setzte sich auf Zutun ihres ehemaligen Verteidigungsministers, Karl-Theodor zu Guttenberg, für die Wirecard in China ein. Ein SPD-Abgeordneter im Berliner Parlament war nebenberuflich als Lobbyist für die Wirecard AG zuständig. Dutzende Beschäftigte der BaFin haben private Finanzgeschäfte mit Wirecard-Bezug getätigt. Ein Mitarbeiter der Wertpapieraufsicht wurde sogar wegen des Verdachts auf Insiderhandel bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart angezeigt. Zwar mussten der Präsident der Finanzaufsicht BaFin sowie seine Stellvertreterin nach Bekanntwerden des möglichen Insiderhandels zurücktreten. Und auch der Chef der Wirtschaftsprüferaufsicht APAS und der Präsident der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung haben schlussendlich ihre Posten geräumt.Von politischer Verantwortung für dieses Versagen fehlt aber bis heute jede Spur.

Dabei hat der Wirecard-Untersuchungsausschuss gezeigt, dass Warnsignale bei den staatlichen Institutionen teils Jahre vor der Insolvenz eingingen ohne Gehör zu finden. Die Aufdeckung des Betrugs verdanken wir daher nicht etwa unseren Behörden, sondern vor allem dem heute hier zu ehrenden Journalisten der Financial Times – Dan McCrum – welcher zusammen mit seiner Kollegin Stefania Palma gegen alle Widerstände Wirecard – quasi im Alleingang – zu Fall gebracht hat.

Ende 2014 hörte McCrum zum ersten Mal von möglichen Ungereimtheiten bei Wirecard. Im parlamentarischen Untersuchungsausschuss Wirecard sagte er, dass ihn ein Shortseller darauf aufmerksam gemacht habe, der ihm sagte: „Möchten Sie etwas über ein paar deutsche Gangster erfahren?“ Nach intensivem Studium der Bilanzen veröffentlicht er ein Jahr später in der Financial Times den ersten Text zu dem Unternehmen.

Er beginnt folgendermaßen: „Wirecard ist ein wenig bekanntes deutsches Technologieunternehmen mit einem Aktienwert von 5 Milliarden Euro – und zugleich ein Rätsel. Es bietet Zahlungsdienste an, besitzt eine Münchner Bank und tätigt Millionen von Online-Kreditkartenzahlungen hinter den Kulissen auf bekannten Websites.“ Es folgt eine ganze Artikelserie, die McCrum „House of Wirecard“ nennt. Es war wohl die spannendste Episode in seiner bisherigen Karriere. Das damals wenig bekannte Technologieunternehmen hat im Zuge der Recherchen längst traurige Berühmtheit erlangt. Innerhalb der Financial Times sprechen Sie vom Projekt „Ahab“ – benannt nach dem Kapitän aus dem bekannten Roman „Moby Dick“, welcher völlig besessen den weißen Wal jagt. Doch nicht nur McCrum jagt die Wirecard, er wird in der Zeit auch selbst zum Gejagten. Die Wirecard überwacht, bespitzelt und verfolgt ihn juristisch. Heute wissen wir, dass das Unternehmen systematisch versucht hat, seine unliebsame Berichterstattung zu unterbinden.

Jahr für Jahr wurden von der Wirecard AG Millionen für Lobbyisten, Privatdetektive und Medienanwälte für solch Zwecke ausgegeben. Im Internet werden sogar die Namen und Adressen von McCrums Familie veröffentlicht und Verschwörungstheorien über diese verbreitet. Seine Frau wäre eine PR-Beraterin für einen Wirecard-Konkurrenten, heißt es dort unter anderen. Den traurigen Höhepunkt der Verleumdungskampagne leitet allerdings die BaFin ein.

McCrum und seiner Kollegin Stefania Palma wird vorgeworfen, sich mit Leerverkäufern abgesprochen zu haben, um von nach unten manipulierten Aktienkursen der Wirecard zu profitieren. Nicht nur die Staatsanwaltschaft in Deutschland, auch die Financial Times ermittelt fortan gegen ihn. Gleichzeitig erläßt die BaFin ein Leerverkaufsverbot für Wirecardaktien in Deutschland. Ein bis dahin einmaliger Vorgang, der lediglich auf einen Hinweisgeber von Wirecard selbst an die Münchner Staatsanwaltschaft und von dort an die BaFin beruhte.

Dan McCrum wird Stunden lang von Anwälten aus dem eigenen Haus befragt und muss seine gesamte Kommunikation offen legen. „Wurdest du schon verhaftet?“ fragen seine Kollegen, wenn Dan McCrum ihnen auf dem Flur begegnet. Doch die aufgeblähten Bilanzen lassen sich nicht ewig vertuschen. Nach einer Sonderprüfung muss Wirecard am 18. Juni 2020 schließlich öffentlich eingestehen, dass ihr 1,9 Milliarden Euro fehlen. Die sogenannten Treuhandkonten waren eine Täuschung. Eine Woche später meldet das Unternehmen bereits Insolvenz an. Der ehemalige CEO der Wirecard, Markus Braun, sitzt mit anderen Vorstandsmitgliedern mittlerweile in der Untersuchungshaft. Das vermeintliche Mastermind hinter dem Betrug, Jan Marsalek, ist untergetaucht. Der weiße Wal ist McCrum schlussendlich doch ins Netz gegangen.

Lieber Dan McCrum, mit Ihrem Engagement, hinweg über viele Widerstände und immer mit einer Bedrohung im Rücken, haben Sie sich nicht nur um Ihren Beruf – den des Journalisten –, sondern auch um die Marktwirtschaft verdient gemacht. Denn eine Marktwirtschaft funktioniert nur dann, wenn diese auf Rechtsstaatlichkeit beruht und Fehlleistungen, Betrügereien und Verbrechen auch entdeckt, verfolgt und geahndet werden. Letztlich basiert darauf auch das Vertrauen in Unternehmen und generell in das Unternehmertum. Der Namensgeber dieser Stiftung, die Sie heute ehrt, Ludwig Erhard, hat es so formuliert: „Eine Volkswirtschaft kann auf Dauer nur gedeihen, wenn sie sich in der Erfüllung ihres Dienstes am Mensch vor dem eigenen Volk und vor der Welt bewährt.

Der materielle Erfolg ist gebunden an die Wirkungskraft im Geistigen und Sittlichen – ohne sie bleibt alles Materielle fragwürdig und flüchtig.“ Es ist also ein moralischer Imperativ, den Erhard hier anspricht. Daher ist der Ruf nach einem starken Staat nicht die richtige Antwort. Auch nicht, dass die Privatwirtschaft in ein noch engeres Korsett gepresst werden soll. Der Wirecard-Betrug zeigt eindrucksvoll, dass wir eben nicht unbedingt ein Problem mit zu wenigen Regeln und Vorschriften haben, sondern ein Problem mit der Kontrolle ebendieser Regeln.

Der Fall Wirecard und die investigativen Recherchen von Dan McCrum haben die Konsequenzen dieses Staatsversagens aufgedeckt. Die Arbeit von Dan McCrum hat eindrucksvoll gezeigt, was passiert, wenn der Korporatismus von Staat und Wirtschaft zu einer Korrumpierung der staatlichen Institutionen führt. Die Finanzaufsicht erstattet Anzeige gegen den Journalisten, der kritische Artikel publiziert, geht aber gleichzeitig den Indizien gegen die Wirecard nicht umfassend nach. Der Staat und seine Institutionen stellten sich damit zunächst auf die Seite der Betrüger.

Nur dank des eindrucksvollen Durchhaltevermögens von Dan McCrum war es am Ende möglich, dass dieser Betrug aufgedeckt werden konnte. Dan McCrum ist ein herausragender Vertreter eines investigativem Journalismus, der der Wahrheit auf den Grund gehen will. Ein Mensch, der sich über Widerstände hinwegsetzt, eigenverantwortlich für seine Überzeugungen einsteht und dabei höchst integer agiert. Darüber hinaus zeigt er uns allen eindrucksvoll, dass der Staat nicht funktioniert, wenn wir – die Bürger –  nicht wachsam bleiben. Das ist keine Aufgabe nur von einzelnen, sondern von uns allen.

Nur so kommen wir unserer Vorstellung von einer Gesellschaft näher, welche die Freiheit der Menschen als höchstes Gut betrachtet. Dan McCrum hat mit seiner Recherche dazu einen beeindruckenden Beitrag geleistet. In diesem Sinne möchte ich Ihnen im Namen der hier Anwesenden und der gesamten Ludwig-Erhard-Stiftung ausdrücklich danken.

Thank you, Mister McCrum!

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