Persönliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zum Abstimmungsverhalten zu TOP 1. a) über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite
Es ist längst an der Zeit, den rechtlichen Ausnahmezustand der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ zu beenden und die Entscheidungsbefugnisse für die Bewältigung der Corona-Pandemie in die Hände der Parlamente zu legen. Die Beendigung dieses Rechtskonstrukts heißt nicht, dass der Deutsche Bundestag nicht die Gefahr erkennt, die durch das Corona-Virus für die Gesundheit der Menschen im Land droht. Das heißt vielmehr, dass der Deutsche Bundestag sich dazu entscheidet, wirkungsvolle und zielgenauere Maßnahmen in einem verfassungs- bzw. rechtskonformen Rahmen umzusetzen. Die verfassungsrechtlich fragwürdigen Runden der Bund-Länder-Regierungschefs, die faktisch rechtsetzend waren, kommen damit zu einem Ende.
Mit dem Gesetzentwurf werden den Ländern begrenzte und zielgenaue Instrumente in die Hand gegeben – so, wie es auch verfassungs- und infektionsrechtlich geboten ist. Den Ländern wird ermöglicht, je nach Gefahrenlage für sie angemessene und sachgerechte Maßnahmen zu ergreifen. Das bedeutet auch, dass die Länder nicht von ihrer Pflicht entbunden sind, ihre Maßnahmen streng am verfassungsrechtlichen Maßstab auszurichten. Die Länder stehen in der Pflicht, die notwendigen Begründungen für Grundrechtseingriffe zu liefern. Es gilt auch in der Pandemie: Je länger und je tiefer der Eingriff andauert, umso größer muss die Begründungstiefe sein. Und: Nicht die Wahrnehmung von Grundrechten bedarf der Begründung, sondern deren Einschränkung. Die Verfassung gilt auch in der Krise.
Das bedeutet weiterhin, dass die Pandemie mit möglichst milden Mitteln bekämpft werden muss – und nicht, dass, gewissermaßen als günstiger Mitnahmeeffekt, Menschen zu einem vermeintlich vernünftigen Verhalten mit der Androhung oder Verfügung von Grundrechtseingriffen „angeleitet“ werden dürfen. Wenn es der politische Wille ist, den Menschen die freie Wahl zu lassen, ob sie sich impfen lassen oder nicht, dann steht es den staatlichen Organen nicht zu, die vermeintlich „falsche“ Entscheidung gegen eine Impfung als minderwertig zu qualifizieren. Die Entscheidungsfreiheit ist, im Rahmen der Allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG, ein hohes verfassungsrechtliches Gut. Dieses kann selbstverständlich eingeschränkt werden, aber nur durch ein Gesetz, nicht durch moralische Erklärungen von Vertretern des Verfassungsstaates. Die politischen Entscheidungsträger müssen aufpassen, dass sie mit entsprechenden Erklärungen nicht eine gesellschaftliche Stimmung erzeugen, in der eine Impfung zu einer politischen Entscheidung stilisiert wird. Denn damit werden wir diejenigen, die noch zweifeln, nicht für eine Impfung gewinnen können. Eher wird das Gegenteil bewirkt.
Sich impfen zu lassen, halte ich für eine vernünftige Entscheidung. Ich werbe sehr dafür, sich an die StiKo-Empfehlungen zu halten und sich impfen und auch „boostern“ zu lassen. Sich impfen zu lassen, ist jedoch keine Frage der gesellschaftlichen Solidarität. Schon gar nicht sind Menschen, die sich gegen eine Impfung entscheiden, für die Engpässe auf den Intensivstationen verantwortlich. Es ist vielmehr Ausweis staatlichen Versagens, wenn inmitten einer Pandemie mehrere Tausend Intensivbetten nicht mehr betreibbar sind. Es bleibt politische Pflicht, das Gesundheitssystem und die Krankenhäuser schnellstmöglich zu ertüchtigen, die Arbeitsbedingungen für das medizinische und pflegerische Personal zu verbessern, damit jedem Menschen in der Bundesrepublik Deutschland eine gute medizinische Versorgung gewährleistet werden kann. Unser Gesundheitssystem fußt auf dem Solidaritätsprinzip. Ich will nicht, dass mitmenschliche Solidarität und medizinische Versorgung vom Impfstatus abhängig gemacht werden.
Der vorliegende Gesetzentwurf stellt keinen Blankoscheck für die Länder dar. Insbesondere die aktuell in Rede stehenden Maßnahmen „2 G“ oder „2 G Plus“, die von einigen Ländern bereits angekündigt wurden, müssen sich am strengen verfassungsrechtlichen Maßstab messen lassen. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Maßnahmen tatsächlich verfassungskonform sind oder ausgestaltet werden können, da auch von Geimpften eine Infektionsgefahr ausgehen kann. Es gibt durchaus gewichtige wissenschaftliche Stimmen, die eine 2-G-Regelung kritisch sehen. So etwa Professor Detlev Krüger, ehemals Charité, der gegenüber der „Bild“ erklärte: „Die Impfung ist vor allem Eigenschutz, nicht Fremdschutz. Insofern bezweifle ich, dass die 2-G-Regelung eine Verbesserung zu 3 G darstellt. Im Endeffekt bedeutet 2 G nur mehr Unfreiheit, ohne mehr Sicherheit zu bieten.“ Wenn der Unterschied zwischen „2 G“ und „3 G“ jedoch „weniger Freiheit“ lautet, dann sollte die Antwort des Staates lauten: „in dubio pro libertate“.
Und auch die Einführung einer 2-G-Plus-Regel muss sich mit den Fragen konfrontiert sehen: Wenn der Zugang zu einer Veranstaltung ohnehin von einem Test abhängig gemacht wird, wieso gilt das dann nicht auch bei Tests von Ungeimpften? Wäre also hier 1 G (getestet) nicht das mildere Mittel? Diesen Fragen müssen sich nun die Landesregierungen stellen, die diese Maßnahmen umzusetzen beabsichtigen. Die Länder müssen im Zweifel vor Gericht belegen, dass diese Eingriffe dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen. Hierzu gehört auch, dass es aus meiner Sicht infektionsrechtlich kaum begründbar ist, wenn Schulkindern zum Teil härtere Maßnahmen zugemutet werden als Erwachsenen in vergleichbaren Situationen – zumal mittlerweile als gesichert gilt, dass Schulen keine Pandemietreiber sind.
Dieser Gesetzentwurf ist ein Kompromiss zwischen drei Fraktionen dieses Hohen Hauses. Ich gestehe zu, dass ich mir härtere Leitplanken des Gesetzgebers gewünscht hätte, welche Maßnahmen er selbst als verfassungsrechtlich geboten ansieht. Alles in allem werde ich diesem Gesetzentwurf jedoch zustimmen, weil er die richtigen Grundlinien vorgibt und einen verfassungsrechtlichen Ausnahmezustand beendet. Es ist nun an den Ländern, sich bei der Implementierung von Anti-Corona-Maßnahmen nicht an einer aufgeheizten öffentlichen Stimmungslage zu orientieren, sondern am strengen verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit.