Foto: Kenneth C. Zirkel from Wikimedia Commons (CC BY SA 4.0)
Über den Tellerrand hinauszublicken, ist oft hilfreich. Erlaubt es doch den Blick in bis dahin unbekannte Gefilde. So geht es vielleicht vielen, die das Buch „Freie Privatstädte – Mehr Wettbewerb im wichtigsten Markt der Welt“ von Titus Gebel in die Hand nehmen. Darin führt Gebel seine Leser ein in die Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens.
Er beschreibt die vielen Fehlanreize unseres Steuer- und Sozialsystems, die Bevormundung des Staates gegenüber den Bürgern und plädiert daher insgesamt für weniger Staat. Als Jurist kennt er die Probleme der Machtbegrenzung der Politik und erwartet, durch mehr Systemwettbewerb zu besseren Ergebnissen zu kommen. Sein Modell freier Privatstädte ist für ihn eine alternative Ordnung zum herkömmlichen Nationalstaat. Als erfolgreicher Unternehmer sieht er darin sogar ein Geschäftsmodell. Ihm schwebt ein Betreibermodell vor, das als gewinnorientiertes Unternehmen eine Dienstleistung anbietet, für die die Vertragspartner bezahlen müssen. Die Teilnahme an und der Verbleib in der Privatstadt ist freiwillig. Die Aufnahme in die Privatstadt regelt der Betreiber nach eigenen Regeln, die vertraglich mit den Nutzern vereinbart werden. Streitigkeiten sollen vor einem unabhängigen Schiedsgericht geklärt werden.
Das klingt utopisch, ist es aber nicht. Historisch gab es zahlreiche erfolgreiche Beispiele. Die Stadtstaaten der Antike, die Reichsstädte oder der Städtebund der Hanse im Mittelalter, um nur einige zu nennen, haben über Jahrhunderte existiert. Der heutige Nationalstaat ist eher eine jüngere Erfindung. Wer im Mittelalter die Freiheit aus der Leibeigenschaft erlangen wollte, musste in eine freie Reichstadt gelangen und dort ein Jahr lang verweilen ohne gefangen genommen zu werden. „Stadtluft macht frei“ galt daher wörtlich. Freie Städte waren historisch Horte der Freiheit.
Auch in der Gegenwart gibt es solche Beispiele: Monaco, Hong Kong und Singapur sind jeweils Städte mit unterschiedlicher Autonomie und Ausgestaltung. Gebels theoretisches Modell einer freien Privatstadt erinnert an das Fürstentum Monaco. Nicht ganz ohne Grund lebt er dort mit seiner Familie. Fast wie eine Aktiengesellschaft wird das Fürstentum geführt. Seit dem späten Mittelalter ist es ein souveräner Staat. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts lebten lediglich 300 Menschen dort. Heute sind es 38.000 Menschen. 50.000 Menschen arbeiten dort. Faktisch keine Kriminalität, keine direkten Steuern und keine Schulden machen den Ministaat so attraktiv, dass es hohe „Eintrittsgelder“ für eine Wohnrecht in Monaco gibt.
Eine andere Möglichkeit der Machtbegrenzung sieht er im Wettbewerb der Rechtssysteme. In Schwellen- und Entwicklungsländern entfaltet das dortige Rechtssystem kein Vertrauen. Wer etwas erreichen will, kommt meist auf normalen Wegen nicht weiter. Daher sind dort Korruption und Vetternwirtschaft dominierend. Gebel greift eine Idee des amerikanischen Ökonomen Paul Romer auf, der vorgeschlagen hat, in solchen Ländern die Auswahl aus unterschiedlichen Rechtsystemen zuzulassen. Sonderwirtschaftszonen sollen dies ermöglichen. Das hat durchaus seinen Charme. Nach der fortdauernden Krise in Griechenland, einer nicht funktionierenden Bürokratie und einem mangelnden Schutz privaten Eigentums, wäre es doch überlegenswert, eine Sonderwirtschaftszone dort einzurichten, in der zum Beispiel englisches Recht gilt. Wer Personal einstellt, kann das vielleicht auch nach deutschem Recht tun. Und wer Gesellschaftsverträge schließt, macht dies nach amerikanischem Recht. Ein Wettbewerb der Rechtssysteme in einem Land und nicht wie derzeit in jeweils unterschiedlichen Staaten wäre doch ein Versuch wert.
Titus Gebels Buch ist ein leidenschaftliches, kundiges und innovatives Plädoyer für Individualität und Dezentralität. Der Autor misstraut Politikern und Regierungen. Sie neigen dazu, immer mehr Macht auszuüben, um Sondervorteile auf Kosten Dritter zu erlangen. Daher plädiert er für eine Machtbegrenzung der Regierungen. Er will die etablierten Staaten durch seine Idee der freien Privatstädte in eine Wettbewerbssituation bringen, die diese zwingen, sich selbst zu verändern. Dabei strebt er keine Revolution an, sondern hofft, durch den Wegzug einiger einen evolutorischen Prozess zum Besseren einleiten zu können. Am Beginn seines Buches zitiert er Christoph Heuermann: „Gehe dorthin, wo Du am besten behandelt wirst.“