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Bis heute hat in diesem Jahr statistisch jeder Arbeitnehmer nur für den Staat gearbeitet. Die deutsche Politik streut den Bürgern Sand in die Augen. Die vielen Sozialleistungen sollen helfen, aber in der Summe schaden sie.
Der Steuerzahlergedenktag des Bundes der Steuerzahler ist alljährlich eine Mahnung an den überbordenden Staat. In diesem Jahr findet er heute, am 9. Juli statt. Bis dahin arbeitet ein Durchschnitts-Arbeitnehmerhaushalt für den Staat. Dessen Belastung liegt 2020 bei 52,1 Prozent an Steuern und Abgaben. Im OECD-Vergleich ist dies ein absoluter Spitzenwert. Je nach Familiensituation, ob verheiratet, mit und ohne Kinder oder Doppelverdiener, streitet sich der Steuerbürger in Deutschland um Platz 2 oder 3 mit Italien. Nur Belgien liegt vor uns.
Zwar hat gegenüber 2019 ein leichter Rückgang stattgefunden, jedoch hat dies weniger mit dem Sinken der Abgabenlast, sondern mit der konjunkturellen Situation in Deutschland zu tun. Doch der Blick sollte nicht nur auf die durchschnittliche Abgabenbelastung gerichtet werden. Denn nicht so sehr der Durchschnitt ist entscheidend für die Motivation und das Engagement von Menschen, sondern die Grenzbelastung. Also das, was vom zusätzlichen Euro an Einkommen unterm Strich übrigbleibt. Hier ist das deutsche Abgabesystem besonders ungerecht. Es bestraft gerade Geringverdiener überproportional.
Ein Mini-Jobber beispielsweise, der im Rahmen seines 450-Euro-Jobs künftig 100 Euro mehr bekommen soll, hat eine zusätzliche Belastung von 56 Prozent. Lediglich 44 von 100 Euro bleiben übrig.
Nicht viel besser sieht es bei einer Mindestlohnempfängerin aus, die eine Gehaltserhöhung von 1.600 Euro auf 1.700 Euro erhält. Sie kann von den zusätzlich 100 Euro nur 53 behalten. Das unterscheidet sie kaum von einem Single der eine Gehaltserhöhung von 7.000 auf 7.100 Euro erhält. Ihm bleiben 56 Euro. Und auch die Normalverdienerin, die anstatt 4.000 Euro nunmehr 4.100 Euro erhält, darf nur 49 Euro behalten. Unser Abgabensystem hat im Grenzbereich eine völlig unsystematische Belastungswirkung. Der Minijobber hat die höchste Belastung und der Mindestlohnbezieher hat eine höhere Grenzbelastung als der Spitzenverdiener. Alle Einkommensgruppen eint freilich: die zusätzliche Belastung liegt um die 50 Prozent, mal leicht drüber und mal leicht darunter. Dabei sind bei dieser Betrachtung nicht einmal die Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialversicherungen, die Gebühren, die übrigen Steuern und Abgaben berücksichtigt, so wie es der Steuerzahlerbund bei seiner Berechnung macht. Wäre dies der Fall, dann bliebe allen noch weniger von einer Gehaltserhöhung übrig.
In so einer Situation sind insbesondere Gering- und Normalverdiener gefangen. Sie schaffen es meist nicht, aus ihrer Einkommenssituation auszubrechen und sich unabhängig von staatlichen Transferleistungen zu machen. Nicht einmal Mehrarbeit, also Anstrengung und Engagement, können daran etwas ändern. Dies ist für eine Gesellschaft insgesamt bitter und eigentlich ein unhaltbarer Zustand. So ein System ist neufeudalistisch. Denn eine offene Gesellschaft lebt eigentlich von der Durchlässigkeit. Sie ermöglicht den Aufstieg durch Leistung, Ideen und Engagement. Doch unser Abgabensystem verhindert dies.
Die vorherrschende Politik in unserem Land streut den Bürgern Sand in die Augen. Die vielen Sozialleistungen sollen helfen, aber in der Summe schaden sie. Der Grund ist, dass immer mehr Sozialleistungen, auch an diejenigen, die gar nicht bedürftig sind, ausgekehrt werden. Vom Elterngeld über die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes bis hin zum Baukindergeld wird immer Neues und Gutes erfunden. Die Zielgruppen bejubeln dies, der schweigende Rest muss es aber bezahlen, nicht zuletzt die Steuerzahler am unteren Ende der Gehaltsstufe. Denn jede Leistung des Staates beruht letztlich auf dem Verzicht seiner Bürger. Der Staat kann nur das ausgeben, was er heutigen und künftigen Generationen weggenommen hat. Eine Diskussion darüber ist dringend notwendig. Dieser Zustand ist ein gesellschaftlicher Sprengsatz erster Güte.
Die Kolumne erschien zuerst bei Tichys Einblick.